Projektbeschreibung —  Horst & Maria, The Perfect Residents

Der Platz in Istanbul soll durch zwei geschaffene künstliche Charaktere ausgefüllt werden – sie zeigen während ihrer sechsmonatigen Performance permanente Präsenz und halten ihre Erfahrungen in Kunstwerken fest. Für eine Zeit am Anfang und am Ende der Aktion wird auch Christian Jankowski selbst in die Rolle eines dieser Charaktere schlüpfen, deren Namen Maria und Horst sind.
Für Horst & Maria, die aufgrund ihrer immer gleichen Kleidung und ihres immer gleichen Haarschnitts leicht zu erkennen sind, spielen Routinen eine wichtige Rolle: Man trifft sie zum Beispiel immer zusammen an, sie sind grundsätzlich positiv gestimmt, sie unterhalten sich gern mit jedem Lebewesen und sie lassen sich gerne Hände schüttelnd fotografieren. Der Morgen beginnt meist mit einem Spaziergang durch den weitläufigen Garten, dem Schnuppern an Rosen etc., dann besucht man die kleine Kapelle auf dem Gelände und geht danach eine Runde Tennis spielen. Die örtliche Präsenz der beiden Charaktere wird ebenfalls durch Gewohnheiten bestimmt – am Nachmittag finden häufig Exkursionen und Erkundungen statt, man verlässt dabei das Gebiet der Kulturakademie, um in den Dialog mit Kulturschaffenden in Istanbul zu treten. In regelmäßigen Abständen erfolgen auch Einladungen nach Tarabya: Dort bekochen die beiden perfekten Residenten gerne neue Freunde und Bekannte oder sie laden zu einem Vortrag oder einer Filmvorführung in ihr Atelier ein. Diese Einladungen sind immer auch Inszenierungen, Performances in die andere, zum Beispiel Zuschauer einbezogen werden. Die Thematisierung von Routinen und dem Alltäglichen verbindet Horst & Maria mit dem britischen Künstlerduo Gilbert und George, und vielleicht haben sie auch so viele Haare auf ihren Köpfen, weil Eva und Adele Glatze tragen – die größte Differenz zu diesen Parallelerscheinungen ist aber die Tatsache, dass die Charaktere Horst & Maria von einer Gruppe performt werden.

Ähnlich einem Staffellauf wurden Horst & Maria von einer Gruppe junger Künstler (23 Personen) durchlaufen. Alle zwei Wochen, im Reissverschlussverfahren, wurden sie von einem anderen Individuum bespielt. Unausweichlich fanden in der Zwischenzeit im Charakter der künstlichen Persönlichkeiten einige Transfers statt, welche die ureigene künstlerische Qualität von Horst & Maria ausmacht. Performance, Bild und Text sind die medialen Grundsteine des Tarabya-Kunstwerks. Horst & Maria führten ein digitales Logbuch, das ihre Erlebnisse und Gedanken festhielt. Dieses Logbuch vermittelte nachfolgenden Horts und Marias wichtige Informationen darüber, was sich schon alles in ihrem Leben in Istanbul ereignet hat.
An diese Informationen wurde dann immer wieder von Neuem angeknüpft. Es wurden Freundschaften gepflegt, Kunstwerke entwickelt und am Ende auch eine Ausstellung und eine Publikation realisiert.
In der Publikation, die selbst auch Kunstwerk ist, wurden neben den Logbuchtexten auch Bilder veröffentlicht, die Horst & Maria in Istanbul zeigen. Auf der Bildebene wird viel mit Symmetrie und der Spiegelung der beiden Charaktere gearbeitet. Es wurden auch Bilder gezeigt, auf denen die beiden anderen Menschen die Hände schütteln und dabei in die Kamera lächeln. Auch zur richtigen (falschen) Zeit am richtigen (falschen) Ort zu sein, wird fotografisch dokumentiert. Der obligatorische Akt des Shaking Hands belegt: wir sind aktiv und treffen Künstler, Museumsdirektoren, Journalisten, und vielleicht auch Hochstapler, wir laden zu uns nach Hause ein und leben somit die Idee des idealen inter- und intrakulturellen Austausches.
Trafen die künstlichen Charaktere auf bereits bekannte Personen, so kam es manchmal zu Irritationen: die Bewohner tragen zwar die gleiche Kleidung und Frisur, sehen aber irgendwie ganz anders aus, dennoch besitzen sie Erinnerungen an Gespräche, die man mit ihnen vor einem Monat führte. Welche Erfahrungen macht man auf diese Weise, was nimmt man mit und wie gibt man Erfahrenes weiter? Wie bei der „Stillen Post“ geht es um senden und empfangen, erleben und erinnern.

Das sechsmonatige Stipendium wurde eingeteilt in zwei Monate der Recherche, zwei Monate der Produktion und zwei Monate der Vermittlung des Ergebnisses mit finaler Präsentation. Während des Ausfüllens der künstlichen Charaktere vor Ort wurden individuelle Arbeiten realisiert – diese sind Ausdruck der multiplen Persönlichkeit von Horst & Maria und führten zu einer großen Ausstellung bei der Sinopale, der Istanbul Biennale, und einem Book Release in Stuttgart.
Book Release in der Buchhandlung Walther König Stuttgart, 2017
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